Verschmutzte Straßen, unhygienische Behausungen, ungesunde Lebensverhältnisse, Elend, Tod – die Viktorianische Ära (1837-1901) war vor allem eine Ära der Seuchen und Epidemien, der Kinderarbeit und der sozialen Repression, in der der technische Fortschritt sich auf Kosten der Bevölkerung etablieren konnte. In den vornehmeren Kreisen der Gesellschaft feierte man diese technischen Errungenschaften sowie die Ausdehnung der europäischen Kolonien und die kulturellen und geistigen Entwicklungen der Belle Époque auf den Boulevards der Metropolen, in orientalischen Opiumhöhlen, in Cafés, Galerien, Salons und im Theater.
Im Spannungsverhältnis dieser Zeit, in der Jack the Ripper sein Unwesen in den Gassen Londons trieb aber auch in den Bereichen der Kunst, der Medizin und der Architektur großes geschaffen wurde, siedelt sich die britisch-amerikanische Horror-Serie „Penny Dreadful“, produziert von John Logan (Skyfall, Sweeny Todd), an und erfüllt einige der wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgversprechende Serie: „Penny Dreadful“ ist schockierend wie „The Walking Dead“, dabei mysteriös und intelligent wie „True Detective“ und erfüllt den Wunsch nach enigmatischen Zusammenhängen.
A League of Extraordinary Gentlemen
Im Zentrum der ersten, acht Folgen umfassenden, Staffel steht die Suche nach Mina Murray, der Tochter des Afrika-Forschers Sir Malcom Murray, für deren Rettung dieser eine wahre League of Extraordinary Gentleman um sich geschart hat. Unter ihnen der Arzt Victor Frankenstein, der Scharfschütze und Werwolf Ethan Chandler sowie das Medium Vanessa Ives, deren schauderhaft grandiose Visionen die Gruppe immer näher an ihr Ziel bringen. Die literarischen Verweise sind zahlreich und beschränken sich nicht auf die Namen der Protagonisten.
Murray selbst ist Afrikaforscher, dessen Ziel es ist, die letzten weißen Flecken auf den Landkarten der Welt zu tilgen. In einer Vision Vanessas konfrontiert diese ihn mit den brutalen Vorgehensweisen auf seinen Expeditionen ins Innere des afrikanischen Kontinents, sie erinnert ihn an die Vergewaltigung und Unterdrückung der Eingeborenen und an die Mitschuld am Tod seines Sohnes Peter auf einer gemeinsamen Expedition. Das dunkle Bild, das Vanessa in dieser Visionen entwirft, verweist damit auf Joseph Conrads Heart of Darkness, einem Standardwerk des Abenteuer-Genres aus dem Jahr 1899.
Deutlicher ist der Hinweis auf Mary Shelleys Frankenstein or The Modern Prometheus. Victor Frankensteins Expertise als Arzt soll Sir Malcom Murray dabei helfen, die Herkunft und anatomische Beschaffenheit jener Kreaturen zu examinieren, die Mina gefangen halten. Parallel dazu arbeitet er an ganz persönlichen Studien, die sich im Grenzbereich von Leben und Tod befinden. Eine seiner Kreaturen, der Untote Caliban – nicht minder ein literarischer Verweis, diesmal auf eine Figur aus Shakespeares The Tempest – agiert im Schatten des Arztes und fordert von diesem eine Gefährtin, um die Ewigkeit mit ihr verbringen zu können. Calibans Tätigkeit als Bühnenarbeiter im „Grand Guignol“ fügt sich nahtlos ein in dieses postmoderne Serienwebstück, nicht nur, da das in Realität im Pariser Viertel Pigalle angesiedelte „Le Théâtre du Grand-Guignol“ auf naturalistische Horrorshows spezialisiert war, sondern auch, da sich bei einem Theaterbesuch, ganz so wie in Oscar Wildes The Picture of Dorian Gray die Handlungsstränge verdichten. So kreuzen sich im Theater einmal mehr die Wege von Dorian Gray und Vanessa Ives und auch der Antagonist persönlich scheint nicht fern zu sein.
Strange happenings on the streets of London
Großbritannien im Zeitalter der beginnenden industriellen Revolution. Wo geschichtlich der Fortschritt so bahnbrechend schnell vonstattenging und die Grenzen zwischen Realität und Fantasie unscharf zu werden drohten – wie von Geisterhand bewegten sich plötzlich durch Dampf betriebene Maschinen, Ärzte stellten die Existenz unsichtbarer, quasi unwirklicher Lebewesen fest, die für zahlreiche Krankheiten und Todesursachen verantwortlich sein sollten – wo aber auch soziale Umschichtungen dazu beitrugen, dass nunmehr gebildete Arbeiter Unterhaltung und Amüsement suchten, konnte sich ein Groschenheftformat etablieren, das den Namen Penny Dreadful für sich reservierte. Diese Hefte waren für einen Penny zu haben und wurden, aufgrund der mysteriösen und schaurigen Geschichten, die sie erzählten, auch oft als penny awful oder penny horrible bezeichnet.
Behind the Scenes
Nicht nur thematisch ist Penny Dreadful spannend, sondern auch visuell ein wahrer Augenschmaus und so hat John Logans Arbeit an Sweeny Todd deutliche Spuren hinterlassen. Die Penny-Dreadful-Homepage (http://www.penny-dreadful.com/) ist dem Stil der Serie nachempfunden und zeigt sich düster, farbenunfroh. Bei der Darstellung vom (zumal es bisweilen Bauwerke aus anderen europäischen Städten beinhaltet) fiktiven Greater London, scheint einem die modrige Luft der Kanalisation direkt in die Nase zu steigen.
Die Kostüme, in erster Linie die vornehmen Roben Sir Malcom Murrays und die dem Jugendstil nachempfundenen Kleider Vanessas, sind umwerfend. Visuell wenig überzeugend sind leider die Kampfszenen, die sich meist in absoluter Dunkelheit abspielen und nur durch das Aufblitzen von Mündungsfeuern kurz erleuchtet werden.
Timothy Dalton (James Bond: Licence to Kill) und Eva Green (The Dreamers) treten als Duo infernal auf. Die komplizierte Vater-Tochter-ähnliche Beziehung zwischen den beiden gibt der Story einen Tenor, der sich kraftvoll über alle anderen Handlungsstränge legt.
Tipp: Penny Dreadful genießt sich am schaurig schönsten nachts.
Text von Victoria Strobl – Danke!